Rainer
Trösch
Rainer Trösch: Was mich umgibt |
Die Bilder von Rainer Trösch entstehen, so scheint es, nicht im Kopf, sondern auf dem Blatt. Das erscheint deswegen so, weil die Farbe (Kreide oder Wasserfarbe) sich manchmal innigst mit dem Bildträger verbindet, sodass die Papierstruktur ein feines Raster bildet, manchmal aber auch alles zudeckt, sozusagen den Eindruck von Löchern oder Hindernissen im Bildraum hervorruft. Es ist schwer vorstellbar, dass eine solche Bildgestaltung aus der Vorstellung aufs Blatt übertragen werden könnte. Denn die dicht aufgetragenen Bildteile erscheinen deswegen als Fragmente, deren Ergänzung nur im Kopf geschieht, die dünn aufgetragenen Bildelemente jedoch sind amorph und wolkig. Dabei ist dieses sehr spezifische Verhältnis der Bildelemente zueinander häufig so, dass unentscheidbar bleibt, was eindringt oder was aussperrt. Das Bild und die Bildvorstellung entstehen demnach in einem Prozess, Vorstellung oder Vorahnung, Wahrnehmung und Farbauftrag interagieren miteinander. Die Bilder sind deshalb sehr haptisch und dem Bildträger stets eng verbunden, dieser gerät nie in Vergessenheit. So ist möglicherweise verständlich, was Rainer Trösch meint, wenn er im Gespräch sagt, die Bilder müssten zu ihm kommen, nicht er wolle sie suchen. Dieses Statement, das von sensibler Bezogenheit auf das Geschehen auf dem Blatt spricht, führt aber — das ist möglicherweise ein Irrweg — ausserdem auch in eine andere Phantasiewelt, die uns in feiner Selbstironie den Künstler als König vor Augen führt, der seine Untertanen, die Bilder, empfängt. Das ist deshalb witzig, weil Tröschs Bilder äusserst bescheiden, ja spartanisch wirken — aber in ihrer konsequenten Unangestrengtheit souverän.
Die Konstellation des Überblicks oder der Übersicht wird also durchwegs sorgfältig vermieden zugunsten der Konzentration auf das bildhafte Ereignis. Dass dies eine künstlerische Strategie ist, zeigt sich auch daran, dass, was die Datierungen zu erkennen geben, Rainer Trösch die Ausrichtung der Bilder erst im Nachhinein und oft auch mehrmals wieder verändert. Dieser Umgang bringt es mit sich, dass die Dimensionen undefiniert bleiben. Manche der Werke stellt man sich gerne wandgross vor. Gewiss ist, dass sie stets einen Ausschnitt darstellen aus einem grösseren Ausschnitt von Welt. 2016 setzt sich das Hochformat durch. Architektonische Elemente fangen an viel Raum einzunehmen: Stäbe, Treppenstufen, perspektivische Fluchten, Grundrisse. Sie greifen suchend ins weiss belassene Blatt, welches nun luftig und kühl erscheint. Es sieht aus, wie wenn Trösch einen engeren und irgendwie privateren Raum verlassen hätte. Wer, wie ich, mit Rainer Trösch den Arbeitsort teilt, das Toni-Areal, in dem die Zürcher Hochschule der Künste sich niedergelassen hat, meint die kühle Eleganz des Gebäudes in diesen Fragmenten wiederzuerkennen. Kleine, unbestimmte Geräte tauchen auf. Ein Ausschnitt aus einer Seite eines Konferenzblocks, ein schmales Hochformat, ist in unregelmässiger Breite schwarz gerahmt. Die Spuren eines Lochers, schwarze Punkte, zeichnen am linken Rand von unten nach oben eine Kalligrafie unbekannter verstreuter oder klumpender Zeichen. Sie löschen zugleich die Vorgaben (Date, Time, Place) aus. Auf träumerische, aber subversive Weise wird Bürokratie in Poesie verwandelt. Eine widerständige Poesie, die sich der Negation bedient: unabgeschlossen, unausgesprochen, umkehrbar, sich dem einordnenden Zugriff entziehend. Der Ärger entspringt der Zweiteilung in Brotberuf und künstlerisches Schaffen, die Rainer Tröschs berufliches Leben konditioniert. «Geld oder Leben», sagte er einmal im Café Toni grimmig zu mir, als er sich für einen halben Ateliertag mehr entschieden hatte. In dieser aktuellsten Serie kommen keine farblichen Dissonanzen vor.
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1 Dialog. Bildkritik im Gespräch. Wiederholung und Widerstand – Zeichnung als Krisis: Nanne Meyer im Gespräch mit Toni Hildebrandt am 6. 9. 2011, erschienen in: Rheinsprung 11 – Zeitschrift für Bild-kritik, Ausgabe 3, copyright eikones 2012, S. 134 – 158, hier S. 139.
Rainer Trösch: Was mich umgibt |
Die Bilder von Rainer Trösch entstehen, so scheint es, nicht im Kopf, sondern auf dem Blatt. Das erscheint deswegen so, weil die Farbe (Kreide oder Wasserfarbe) sich manchmal innigst mit dem Bildträger verbindet, sodass die Papierstruktur ein feines Raster bildet, manchmal aber auch alles zudeckt, sozusagen den Eindruck von Löchern oder Hindernissen im Bildraum hervorruft. Es ist schwer vorstellbar, dass eine solche Bildgestaltung aus der Vorstellung aufs Blatt übertragen werden könnte. Denn die dicht aufgetragenen Bildteile erscheinen deswegen als Fragmente, deren Ergänzung nur im Kopf geschieht, die dünn aufgetragenen Bildelemente jedoch sind amorph und wolkig. Dabei ist dieses sehr spezifische Verhältnis der Bildelemente zueinander häufig so, dass unentscheidbar bleibt, was eindringt oder was aussperrt. Das Bild und die Bildvorstellung entstehen demnach in einem Prozess, Vorstellung oder Vorahnung, Wahrnehmung und Farbauftrag interagieren miteinander. Die Bilder sind deshalb sehr haptisch und dem Bildträger stets eng verbunden, dieser gerät nie in Vergessenheit. So ist möglicherweise verständlich, was Rainer Trösch meint, wenn er im Gespräch sagt, die Bilder müssten zu ihm kommen, nicht er wolle sie suchen. Dieses Statement, das von sensibler Bezogenheit auf das Geschehen auf dem Blatt spricht, führt aber — das ist möglicherweise ein Irrweg — ausserdem auch in eine andere Phantasiewelt, die uns in feiner Selbstironie den Künstler als König vor Augen führt, der seine Untertanen, die Bilder, empfängt. Das ist deshalb witzig, weil Tröschs Bilder äusserst bescheiden, ja spartanisch wirken — aber in ihrer konsequenten Unangestrengtheit souverän.
Die Konstellation des Überblicks oder der Übersicht wird also durchwegs sorgfältig vermieden zugunsten der Konzentration auf das bildhafte Ereignis. Dass dies eine künstlerische Strategie ist, zeigt sich auch daran, dass, was die Datierungen zu erkennen geben, Rainer Trösch die Ausrichtung der Bilder erst im Nachhinein und oft auch mehrmals wieder verändert. Dieser Umgang bringt es mit sich, dass die Dimensionen undefiniert bleiben. Manche der Werke stellt man sich gerne wandgross vor. Gewiss ist, dass sie stets einen Ausschnitt darstellen aus einem grösseren Ausschnitt von Welt. 2016 setzt sich das Hochformat durch. Architektonische Elemente fangen an viel Raum einzunehmen: Stäbe, Treppenstufen, perspektivische Fluchten, Grundrisse. Sie greifen suchend ins weiss belassene Blatt, welches nun luftig und kühl erscheint. Es sieht aus, wie wenn Trösch einen engeren und irgendwie privateren Raum verlassen hätte. Wer, wie ich, mit Rainer Trösch den Arbeitsort teilt, das Toni-Areal, in dem die Zürcher Hochschule der Künste sich niedergelassen hat, meint die kühle Eleganz des Gebäudes in diesen Fragmenten wiederzuerkennen. Kleine, unbestimmte Geräte tauchen auf. Ein Ausschnitt aus einer Seite eines Konferenzblocks, ein schmales Hochformat, ist in unregelmässiger Breite schwarz gerahmt. Die Spuren eines Lochers, schwarze Punkte, zeichnen am linken Rand von unten nach oben eine Kalligrafie unbekannter verstreuter oder klumpender Zeichen. Sie löschen zugleich die Vorgaben (Date, Time, Place) aus. Auf träumerische, aber subversive Weise wird Bürokratie in Poesie verwandelt. Eine widerständige Poesie, die sich der Negation bedient: unabgeschlossen, unausgesprochen, umkehrbar, sich dem einordnenden Zugriff entziehend. Der Ärger entspringt der Zweiteilung in Brotberuf und künstlerisches Schaffen, die Rainer Tröschs berufliches Leben konditioniert. «Geld oder Leben», sagte er einmal im Café Toni grimmig zu mir, als er sich für einen halben Ateliertag mehr entschieden hatte. In dieser aktuellsten Serie kommen keine farblichen Dissonanzen vor.
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1 Dialog. Bildkritik im Gespräch. Wiederholung und Widerstand – Zeichnung als Krisis: Nanne Meyer im Gespräch mit Toni Hildebrandt am 6. 9. 2011, erschienen in: Rheinsprung 11 – Zeitschrift für Bild-kritik, Ausgabe 3, copyright eikones 2012, S. 134 – 158, hier S. 139.